05 Mai Auf den Spuren von Dürer
Mit seinem Faible für Gothic, Punk und einer entscheidenden Spur Romantik macht Rick Owens keineswegs bei seiner Mode Halt, sondern entwirft ebenso Möbel in archaischem Gewand. Alabaster, Marmor, Knochen und versteinerte Hölzer werden von ihm in puristische Formen mit Langzeitwirkung übersetzt. Während andere Designer den Zeitgeist zu fassen versuchen, macht Rick Owens schlichtweg das Gegenteil. Seine Entwürfe sind dem Zeitlichen enthoben, indem sie für die Ewigkeit gemacht sind.
Modedesigner mit Ambitionen im Möbelbereich sind keine Seltenheit. Schon Paul Poiret, Jeanne Lanvin, oder Pierre Cardin haben Objekte für den Wohnraum entworfen, während Häuser wie Armani, Fendi oder Hermès längst mit eigenen Möbellinien am Markt präsent sind. Ein festes Mitglied in diesem Club ist ebenso Rick Owens – wenngleich auf überaus untypische Weise. Gewiss, auch seine Möbel folgen mit klaren, puristischen Formen und einer verbindlichen Palette in Schwarz-Weiß-Beige seiner eigenen Mode, die wie ein Film Noir zwischen Dunkelheit und Glamour oszilliert. Und doch wiegen die Fakten ungleich schwerer: Angefertigt aus Beton, Marmor, Bronze, Alabaster oder Knochen wirken seine Möbel wie die Überbleibsel einer längst erloschenen Epoche.
Seinen Auftakt nahm das Unterfangen aus purem Zufall. Als Owens in den späten neunziger Jahren nach passenden Möbeln für seinen Showroom in Los Angeles suchte, entwarf er diese kurzerhand selbst. Was folgte, war die Ausstattung seines Bunker Lofts am Hollywood Boulevard mit geradezu monumentalen, in die Größe gesteigerten Möbeln. Auch dieser Ort war wohl überlegt: Bereits in jungen Jahren fiel Owens eine Ausgabe von Paul Virilios Buchklassiker „Bunkerarchäologie“ (1975) in die Hände, woraufhin er einen Beschluss fasste: In brutalen Räumen aus Beton wolle er fortan auch wohnen.
Auf den Charme des spröden Materials musste Rick Owens auch seinem Umzug nach Paris im Jahr 2003 nicht verzichten. Mit seiner Frau und Muse Michèle sowie seinem gesamten Studio bezog er ein Stadthaus an der Place du Palais Bourbon. Mehr als zwanzig Jahre stand das Gebäude leer, in dem sich zuvor die Zentrale der sozialistischen Partei befand. Mit der Noblesse des Quartiers hatten die Räume mit ihren offen liegenden Betondecken und fehlendem Stuck allerdings kaum etwas gemeinsam. Während der Anblick der rauen Räume bislang alle Interessanten in die Flucht verschlagen hatte, war Owens ganz in seinem Element. Nicht nur die gesamte Einrichtung wurden vom ihm konzipiert. Angeregt durch den Pariser Designgaleristen Philippe Jousse stellte Owens 2005 die erste käufliche Edition seiner limitierten wie hochpreisigen Möbel vor.
Waren viele seiner frühen Arbeiten aus grob zusammengenageltem Sperrholz gearbeitet, kamen immer feinere, schwere und hochwertige Materialien hinzu. Vor allem seine Frau Michèle bewies ein treffsicheres Gespür für die Aufwertung der Möbel. So wurde von ihr das große, mit einer Armeedecke überzogene Bett aus der Wohnung in L.A. in einer mehr als zwei Tonnen schweren Version aus Alabaster aufgelegt. Ein Käufer, der das auf lediglich zwei Exemplare limitierte Möbel erworben hatte, musste nicht nur solvent genug sein, den Preis von 130.000 Euro zu berappen. Um die Statik seines Hauses nicht zu gefährden, war eine dauerhafte Verstärkung des Fußbodens unumgänglich.
Dinge mit Langzeitwirkung sind derzeit auch in Rick Owens Soloausstellung in der Londoner Designgalerie „Carpenter‘s Workshop“ zu sehen, die noch bis Ende November geöffnet hat. „Prehistoric“ lautet der passende Titel der Schau, die keineswegs nur mit schwergewichtigen Fakten pokert. „Michèle hat jemanden gefunden, der die Form der früheren Sperrholzmöbel in ein dunkles, 500.000 Jahre altes, versteinertes Holz übersetzen konnte“, erklärt Owens stolz. Die Transformation des Materials geschieht, wenn Bäume von Sand, Ton oder vulkanischer Asche bedeckt werden. Im Laufe von Jahrtausenden werden die Baumzellen Stück für Stück durch Kieselerde ersetzt, die sich schließlich in Quarz umwandelt. Werden die Oberflächen des Minerals intensiv poliert, kommt nicht nur die besondere Farbigkeit des prähistorischen Holzes zur Geltung. Weil zur Familie der Quarze auch Kristalle gehören, erscheinen die versteinerten Möbel sogar leicht durchsichtig.
Kaum weniger eindrucksvoll zeigt sich der puristische, dreibeinige Stuhl „Onedent“, der seine cremeweiße Farbe seiner Materialität verdankt: Rinderknochen. Ganz zum Wohle empfindsamer Naturen treten diese allerdings nicht als Ganzes auf, sondern wurden zuvor in rechteckige „Bausteine“ geschnitten und anschließend zusammenmontiert. Der Reiz des Möbels liegt im seiner formalen Abstraktion, indem das Wilde und Ursprüngliche mit maschineller Präzision gepaart wird. Lediglich die raue, stark reliefartige Oberfläche verrät das animalische Naturell des Stuhles, der auf raffinierte Weise zwischen Steinzeit-Archaik und Gruselkabinett changiert.
In der Zeitschiene von Owens Möbeln wirkt der Stuhl wie eine subtile Weiterentwicklung seiner früheren Arbeiten. „Stag Bench“ heißt die Serie von Bänken und Stühlen aus den Jahren 2006 und 2007, die Owens mit prächtigen Geweihen versah. Auch hierbei greift die Kombination von Gegensätzen: Während die Möbel an minimalistische Kuben und klosterartige Bänke erinnern, die ebenso der Feder von Minimal Artist Donald Judd hätten entsprungen sein können, kommt das Geweih als expressives, ästhetisches Element zur Geltung, ohne in den Verdacht von plumper Rustikalität zu geraten.
Mit seiner Vorliebe für Knochen, Hörner und Geweihe ist Rick Owens nicht allein. Vor allem im deutschsprachigen Raum erfreuten sich Geweihmöbel im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit. Dass die Jagd zum raumfüllendem Dekor erhoben wurde, nahm seinen Auftakt bereits im Spätmittelalter. So ist überliefert, dass der habsburgische Thronfolger Maximilian II. 1552 einen Elefanten nach Wien brachte. Als dieser verstarb, ließ der damalige Bürgermeister einen Stuhl aus den Knochen anfertigen. Angesichts der Größe des Tiers muss das Möbel auf die meisten Zeitgenossen wie ein Relikt aus einer anderen Welt gewirkt haben – ein Umstand, den sich auch der dänische König Frederik III. zunutze machte. 1665 ließ er einen Thron aus den Zähnen von Narwalen anfertigen, die vom Volk lange für die Hörner von Einhornen gehalten wurden und den Monarchen so mit einer magischen Aura umgaben.
Die Vorstufe der Geweihmöbel waren die sogenannten „Lüsterweibchen“: voluminöse Leuchter aus Geweihen, die mit geschnitzten, weiblichen Holzfiguren kombiniert wurden. In ihren Händen trugen die Figuren oft das Wappen der jeweiligen Stadt oder Gemeinde, wodurch sich auch der Ort ihrer Aufhängung erklärt. In den großen Versammlungsräumen der Rathäuser dienten die „wilden“ Leuchter als Allegorie für die Unabhängigkeit der Städte. Selbst Albrecht Dürer fertigte mehrere Entwürfe an, darunter einen „Drachenleuchter“ (1520) für das Rathaus von Nürnberg, der ein großes Rentiergeweih mit einem vergoldeten, dreiköpfigen Drachen verband.
Ihren Durchbruch erlebten Geweihmöbel in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als im süddeutschen sowie österreichisch-ungarischen Raum verstärkt Jagdzimmer in den Landsitzen des Adels eingerichtet wurden. Die Ausstattung sah nicht nur Sessel, Tische, Kommoden und Sofas vor, deren tragendes Gerüst aus den Geweihen von Hirschen, Elchen oder Rentieren gefertigt wurde. Auch die Wände wurden mit derart vielen Geweihen bestückt, dass sie eine raumgreifende, dreidimensionalen „Tapete“ bildeten. Ein Höhepunkt der Sammlerwut gelang dem Grafen Arco-Zinneberg, der im Salon seines Münchener Stadtpalais mehr als zweitausend Geweihe und Geweihmöbel hortete.
Ganz so wild treibt es Rick Owens zwar nicht. Das Animalische wird bei ihm durch puristische Formen gebändigt und somit bekömmlich gemacht. Seine Möbel sind weniger ironisch als vielmehr ikonisch angelegt. Sie spielen mit der Wahrnehmung der Zeit und setzen die Logik der kontinuierlichen Erneuerung in der Mode wie auch im Möbeldesign durch extreme Langzeitwirkung außer Kraft. Dass im Umgang mit Geweihmöbeln dennoch Vorsicht geboten ist, wusste schon ein Katalog der Londoner Industrie-Ausstellung im Jahr 1863 zu verkünden: „Indessen würden wir Damen in ihrer heutigen Tracht nicht rathen, sich mit derlei Möbeln allzu vertraut zu machen; es sind zu viele Zacken oder „Enden“ daran, an welchen sie sich unrettbar fangen könnten.“