06 Okt Bernie piep einmal!
Auch wenn Spatzen angeblich Vieles von den Dächern pfeifen, verschließen wir unsere Ohren weitgehend vor dem Gesang und den Lauten der Tiere, die uns umgeben. Bernie Krause ist Bio-Akustiker und hat genau das zu seinem Beruf gemacht, wie eine Ausstellung jetzt weltweit zum ersten Mal eindrucksvoll zeigt.
In den 60er und 70er Jahren kannte man Bernie Krause in Fachkreisen vor allem als Musiker: Soundtracks zu Filmen wie “Rosemary´s Baby” oder “Apocalypse Now” entstammen zum Teil seiner Feder. Und doch widmet sich der Amerikaner seit rund 40 Jahren hauptsächlich der Erforschung des großen Orchesters der Tiere, wie er es nennt. In unzähligen Entdeckungsreisen und ausgiebiger wissenschaftlicher Feldforschung hat Krause unvorstellbare 5.000 Stunden Tonmaterial mit Aufnahmen von Tier-Lauten von circa 15.000 verschieden Spezies gesammelt. Immer wieder begibt er sich in entlegene Regionen und damit an die natürliche Quelle jeglicher Musikalität. Krause hört dort hin, wo andere allenfalls mit halbem Ohr ein rhythmisches Piepen oder Röhren wahrnehmen und fängt so die Sprache und den Sound der Tiere ein. Wenn überhaupt besitzen heutzutage lediglich einige indigene Völker die Fähigkeit, diese melodischen Interaktionen zu interpretieren. Im Interview verweist Krause auf die Einzigartigkeit dieses regional unterschiedlichen Zusammenspiels: “Die Menschen, speziell diejenigen, die nahe der Natur leben, orientieren sich in ihren Geräuschen, Bewegungen und Tänzen stark an den Tieren. Sie alle imitieren die Gesänge und Rhythmen der Tiere. Wobei sich der Sound eines Volkes aus Borneo extrem von dem eines Volkes aus Sumatra unterscheidet.”
Für Bernie Krause bildet die Biophonie, so der Fachterminus, eine stete Quelle der Inspiration und Zuwendung zu den Tieren, die nicht zuletzt durch den Menschen vielfach bedroht werden und irgendwann vollkommen verstummen könnten, wie er betont: “In den Jahrzehnten, die ich Tiergeräusche aufnehme, haben sie sich stark verändert. Durch die Erderwärmung beginnt der Frühling inzwischen zwei Wochen früher als noch vor 20 Jahren. Das betrifft die gesamte Welt: Die Meere steigen an, Inseln verschwinden. Alaska verändert sich extrem schnell, dort siedeln sich plötzlich Vögel an, die die Eskimos dort noch nie gesehen haben, geschweige denn einen Namen für diese haben. Das alles passiert innerhalb von fünf Jahren, was extrem schnell ist. Das ist unser Verschulden. Und es verändert das Orchester der Tiere. Plötzlich singen Tiere zusammen, die noch nie zusammen gesungen haben. Es kann tausende von Jahren dauern, bis die Tiere ihre eigene musikalische Nische finden und sich ein harmonisches Zusammenspiel neu aufstellt.”
Die Fondation Cartier bietet in Paris den kuratorischen Rahmen für die Ausstellung “The Great Animal Orchestra”. Hier entsteht eine Kombination aus Malereien und Krauses akustischem Werk, das einer klassischen Symphonie in puncto Komplexität und Emotionalität in nichts nachsteht: “Die Tiere finden ihren akustischen Platz in der Zeitachse nach Darwins Evolutionstheorie. Zum Beispiel im Regenwald: Dort beginnen gegen 1:00 Uhr morgens zuerst die Insekten zu singen, dann die Amphibien gegen 3.00 Uhr, dann die Vögel um 4.30 Uhr, erst danach die Säugetiere. In dieser Reihenfolge haben die Tiere über einen sehr langen Zeitraum ihre jeweilige Nische bestimmt, in der sie singen und sich in die Gesamt-Akustik einfügen. Gibt es dafür einen Dirigenten? Nein. Manche Menschen würden sagen, das ist ein von Gott geschaffenes Konzept, aber ich glaube nicht an Gott, deshalb habe ich dieses Problem nicht.”
Ergänzt wird die erste große Ausstellung dieses Klang-Schatzes durch visuelle Kunst, die eine vielschichtige kreative Auseinandersetzung mit dem Parallel-Universum der Tiere ermöglicht. Zeitgenössische Künstler wie Hiroshi Sugimoto, Moke, Christian Sardet, Manabu Miyazaki, Cai Guo-Qiang erheben wie Bernie Krause das Sujet Tier zum Mittelpunkt ihres Schaffens zwischen Kunst und Wissenschaft. Während Manabu Miyazaki den Vogelflug bei Nacht mit “Fotografie-Fallen” akribisch einfängt, kreierte der Chinese Cai Guo-Qiang ein ganz eigenes Werk für “The Great Animal Orchestra”: Auf 17 Metern Länge schuf er eine Art prähistorische Höhlenmalerei, deren Bildsprachen mithilfe von explosivem Schwarzpulver komplettiert wurde und Tiere zeigt, die sich um eine Wasserstelle vereinen. Das englische Kollektiv United Visual Artists nimmt sich hingegen Krauses akustischer Komposition an und entwickelte für die Ausstellung eine dreidimensionale elektrische Installation, die Teile seiner Symphonie in Lichtpartikel umwandelt und so die komplexe Stimmgebung der tierischen Musikanten visualisiert. Eine Ausstellung, so harmonisch wie ein eingespieltes Orchester – in dem zur Abwechslung Tiere die erste Geige spielen.